Am 11. 11. um 11:11 Uhr werden die Narren „geweckt“. Es beginnt an diesem Tag also nicht der Fasching, sondern ab jetzt bereiten sich die Narren auf die Faschingszeit vor.

Sie gilt als die närrische unter den Zahlen. Denn sie überschreitet nicht nur das, was anhand der zehn Finger menschlicher Hände, sondern auch in der Zahl der „Zehn Gebote“ fassbar ist. Damit hebt die 11 die alltägliche Ordnung auf. Die „11″ übertritt also einerseits die Norm der Gebote und ist andererseits um 1 kleiner als die Zahl der Jünger Jesu.

Denn die nächste aussagekräftige Zahl nach ihr ist ja die 12. Und diese gilt überhaupt als perfekte Zahl. So hat das Dutzend 12 Teile, es gibt 12 Monate und zur 12. Stunde in der Nacht, geht der alte Tag und der Neue beginnt.
11 ist daher auch die Zahl der „letzten Stunde“ auf der Uhr und es galt immer als unheimlich – wenn die letzte Stunde geschlagen hat.

Die Zahl 11 ist weder rund, noch lässt sie sich teilen. Da sie über der 10 steht, steht sie auch für Übertreibung, Völlerei und Maßlosigkeit. Trotzdem besitzt sie nicht die Kraft, Altes zu beenden und Neues zu beginnen, wie es die 12 tut.

Eine narrende Zahl also, die sich keinem mathematischen Gesetz und keiner Regelmäßigkeit unterwirft. Und sie ist damit geradezu prädestiniert, um die Narren zu wecken.

Narren – nicht Närrinnen

Wenn ich hier das Wort „Narr“ nicht in gegenderter Form schreibe, hat das einen Grund:
Ich meine wirklich Narr in seiner männlichen Form, die weibliche ist ausdrücklich nicht mitgemeint.

Warum?

Nun: Narretei ist immer das, was unerwartet ist, hat viele variable Ausdrucksmöglichkeiten, es ist auch die Fähigkeit, in vielen unterschiedlichen Rollen agieren zu können. Närrisch sein bedeutet auch, mit vielen Aspekten zu jonglieren (Multi-Tasking also), unkonventionelle Ideen und Lösungsmöglichkeiten parat zu haben. Den Mut bei all dem zu haben, sich der Lächerlichkeit preiszugeben.

Narren berühren mit wenigen Mitteln das Wesentliche, sind ehrlich – auch wenn es sie den Kopf kosten könnte (Stichwort: Hofnarren). Damit das nicht passiert, sind sie auch diplomatisch. Sie überschreiten spielerisch die Grenzen und haben innerhalb eines gesellschaftlichen Gefüges eine transformierende Funktion.

Das alles sind wir von Frauen einfach viel eher gewohnt, das ist viel mehr deren Alltagsrealität als jene der Männer.
Deswegen gibt es auch viel weniger weibliche Kabarettistinnen und Clownfrauen. Wenn ein Mann in diese närrische Rolle schlüpft, dann ist das daher meistens lustiger, weil man all diese Eigenschaften Männern nicht zutraut. Bei einer Frau kommt diese Narretei oft als langweilig rüber, weil sie eh nur das spielt, was sie die ganze Zeit ohnehin kann und ist.

Wie geht das zusammen – Fasching und Advent?

Mir erschien es immer ein wenig seltsam, dass in der Zeit, in der alles ruhiger wird, der Fasching beginnen und dann den ganzen besinnlichen Advent über dauern soll. Wer setzt sich jetzt schon eine Pappnase und einen lustigen Hut auf? Es sind doch bald eher Adventskränze, beschaulicher Kerzenschein, kuschelige Gemütlichkeit und „Jingle Bells“ der Hit der Saison. Und das mit dem Faschingsbeginn ist ja auch nicht so, weil – wie schon geschrieben – ja jetzt die Narren erst geweckt werden. Der eigentliche Fasching fängt exakt nach den Rauhnächten an, also dem 7. Januar und dauert dann „hochoffiziell“ bis zum Faschingsdienstag.

Sowohl dieser November-Termin, wie auch er Januar-Termin haben traditionelle und mythologische Gründe:

Im agrarischen Kalender gilt der 11. November seit langer Zeit als das Ende des Wirtschaftsjahres. Zu dieser Zeit ist nicht nur die Ernte eingefahren, sondern der Großteil ist bereits weiter verarbeitet und gelagert. Und auch der junge Wein ist ab jetzt trinkbar.

Der Karnevalsauftakt im November geht wahrscheinlich auf griechische, römische und germanische Traditionen zurück. Im November ehrte man die Erdgöttinnen ganz besonders für ihre Gaben des Herbstes und hat vermutlich auch auf sie mit dem neuen Wein angestoßen.

Der Fasching oder Karneval ist ja eine Zeit, in der vieles umgedreht und auf den Kopf gestellt wird. Diese närrischen Zeiten gab es in vielen Kulturen: Diener wurden von Herren bedient, Männer und Frauen schlüpften in die Gewänder des anderen Geschlechts, man kehrte um, was umzukehren war. Und diese Zeit, in der die „normalen“ Dinge des Lebens außer Kraft gesetzt sind, die beginnt ja schon in den Rauhnächten, die zwischen dem 6. und 7. Januar dann nahtlos in die närrische Zeit des Faschings übergehen.

Perchten und Faschingsmasken

Rauhnächte und Fasching sind also jene Zeit im Jahr, in der die alltägliche und gewöhnliche Ordnung aufgehoben oder überschritten wird. Das äußert sich in den Rauhnächten u.a. durch die unterschiedlichen archaischen Figuren des Perchtenbrauchtums und setzt sich in den Masken der Faschingszüge fort. Diese haben vielfach eine große Ähnlichkeit miteinander.

Dennoch ist die Zeitqualität eine andere: Während sich die ganze Natur nun, im November, zurückzieht, alles still und dunkel wird, erleben wir nach dem Ende der Rauhnächte bis in den Februar hinein den Aufbruch der Natur, das wiederkehrende Licht, das von Tag zu Tag stärker wird. Genau diese Zeitstrecke im Jahr und die Umkehrung der Zeit zur Wintersonnenwende scheint es zu brauchen, um Neues entstehen zu lassen. In der Natur sowieso, aber auch in unseren Köpfen.

Menschen haben offenbar schon immer diese „närrischen Zeiten“ gebraucht – jene in den Rauhnächten und jene im Fasching. Sie bringen mit all ihren Normüberschreitungen jenen Perspektivenwechsel, der für die Evolution dringend notwendig ist.
Raus aus dem alten Trott, hinein in neue Ideen und Impulse.

Wenn es sein muss – auch in eine Revolution.

Daher wird die Zahl Elf auch mit den Anfangsbuchstaben der Worte „Egalité, Liberté, Fraternité“ in Zusammenhang gebracht, dem Motto der französischen Revolution.

Role-Models für Narren

Ganz wichtig sind dabei auch immer die „Trickster“-Figuren mit ihrer wilden, unberechenbaren, närrischen Energie. Sie bieten Identifikationsfiguren, zeigen, dass alles möglich ist und fordern auf, es nachzumachen.
Wie sagt Luisa Francia?

„Falle aus der Rolle – sonst rollst du in die Falle!“

Eine dieser Trickster-Figuren ist z.B. Eshu, eine Yoruba-Göttin. Sie ist verantwortlich für Gelingen oder Miss­erfolg, für Begegnungen und Ent­scheidungen, für Zu­fälle, Unfälle und das unergründliche Schick­sal. Immer, wenn etwas Unvor­her­ge­sehenes ge­schieht, ist Eshu im Spiel. Sie versucht die Menschen von ihrem geradlinigen Weg abzubringen und sie damit zu testen, wie sie mit unkonventionellen Lösungen reagieren. Denn darum geht es schließlich. Sonst würde ja nichts Neues entstehen.

Eine andere dieser Figuren ist der uns vertraute Kasperl, der wahnwitzig, tollpatschig aber dabei sehr schlau unglaubliche Abenteuer besteht.

Und er steht erstaunlicher Weise in seiner Ursprungsfigur genau an der Schwelle zwischen den Rauhnächten und dem Fasching. Denn er hat sich aus der Figur des Caspar heraus entwickelt. Caspar ist bei den Heiligen Drei Königen die heitere Außenseiter-Figur, als diese hat sich er sich bald verselbständigt. Aus den mittelalterlichen Dreikönigsspielen heraus nahm er Ende des 18. Jahrhunderts in Wien die Gestalt der komischen Bühnenfigur an – im Kaspertheater mit seinen unüberschaubaren Verhältnissen, die nur er letztendlich bewältigen kann. Kasperls charakteristisch grinsendes Gesicht mit der auffälligen Nase erinnert vor allen an die Rauhnachtsfiguren der Schnabelperchten, das sind die Ordnungshüterinnen im Perchtenzug. Das deutet darauf hin, dass Narretei und Über-Mut Voraussetzungen dafür sind, um das Chaos wieder zu ordnen.

Die Heiligen Drei Könige gibt es ja in dieser Form gar nicht in der Bibel – weder drei, noch heilig, noch Könige. Sie sind eine christliche Umwandlung der alten Muttergöttinnen der „Drei Bethen“ – auch „Drei Perchten“ genannt.

Alles klar?

Danke für den Text und das Bild an Andrea Dechant: https://artedea.net