Seit der Steinzeit ist der Mensch in seinem Verhalten und seinen Reaktionen an die Konfrontation mit zahlreichen objektiven Gefahren gewöhnt und geprägt. Weil es die meisten davon in unserer weitgehend risikofreien Gesellschaft heute nicht mehr gibt, suchen viele Menschen instinktiv nach Ersatzgefahren – vom harmlosen Horrorfilm bis zum halsbrecherischen Extremsport, um ihren evolutionär entwickelten Fähigkeiten zum Umgang mit Ängsten ein Spielfeld zu verschaffen.

Andererseits kann Angst ein lebensrettender Warner und Berater vor wirklichen Gefahren sein. Diese Angst nennt der Autor zur besseren Unterscheidung: Gesunde Furcht.

Gesunde Furcht ist ein feinfühliger Sensor, der uns vor realen Gefahren warnt. Es wäre Wahnsinn, ohne jede Furcht – entsprechend unzureichend vorbereitet – zu einer Hochgebirgstour aufzubrechen. Wen keine Furcht davor zurückhält, lebensgefährlich leichtsinnig zu handeln, der hat die besten Aussichten, sich eine Querschnittslähmung einzufangen oder buchstäblich Kopf und Kragen zu verlieren.

Angst und Furcht sind also durchaus sinnvoll. Wäre es nicht so, dann hätte uns die Evolution wohl kaum mit diesen Emotionen ausgestattet. Aber Angst kann auch sehr negative Formen annehmen. Übertriebene, unbegründete oder lange anhaltende Angst lähmt, macht entscheidungs- und handlungsunfähig, erzeugt psychische und physische Krankheiten und tötet jegliche Lebensfreude, Begeisterungsfähigkeit und Motivation.

In diesem Buch geht es um derartige krankhafte Formen der Angst. Und die sind heute in unserem Kulturkreis leider sehr weit verbreitet und nehmen oft erschreckende Ausmaße an. Ihr Gesicht kann sehr vielfältig sein: von konkreten Phobien bis hin zu ganz allgemeiner, diffuser Daseinsangst.

„Angst essen Seele auf“, sagt ein schwarzafrikanisches Sprichwort. Und ein Mensch mit Seelenverlust, ist ein in seinem ganzen Gefühlsleben, in seinem Wollen und Handeln und in seiner Selbstachtung behinderter Mensch. Das muss nicht so bleiben.

Der Autor benennt 3 Kategorien der Angst:

  1. Unverzichtbare Ängste. Von ihnen sollen wir uns auf keinen Fall trennen.
  2. Bedingt hilfreiche Ängste. Hier sollten wir uns gründlich überlegen, ob wir sie auf Dauer weiter behalten wollen oder uns nicht doch gelegentlich von ihnen trennen.
  3. Quälende, krank machende Ängste. Sie sind völlig überflüssig, denn sie schaden der persönlichen psychischen und physischen Entwicklung und sollten auf jeden Fall abgebaut werden.

Dieses Buch ist Angsthasen gewidmet, die sich Schritt für Schritt von ihren Ängsten befreien möchten. Das funktioniert leider nicht mit einer Wundermedizin, die man nur einzunehmen braucht wie eine Pille – und schon ist alles in Butter. Und es geht auch nicht nach dem Motto „Angstfrei in drei Wochen nach dieser oder jener Methode“. Eine solche Methode gibt es nicht. Angst ist ein Lebensstil. Angst ist eine gründlich erworbene Charaktereigenschaft, die sich nicht so einfach ablegen lässt.

Ängste loswerden bedeutet einen tiefgreifenden Persönlichkeitswandel auf vielen Ebenen gleichzeitig. Es ist nicht weniger als das Loslassen von alten, überholten, tiefsitzenden Verhaltensmustern und programmierten Glaubenssätzen, die so tief in uns sitzen, dass wir uns ihrer gar nicht bewusst sind. Diese in der Tiefe zu erkennen, braucht nicht nur Zeit und Geduld, es verlangt auch intensive und konsequente Arbeit an sich selbst. Noch mehr Zähigkeit und Geduld braucht es, sich von archetypischen Grundängsten zu trennen, die im Wesen des Menschen verankert sind.

Versuche, sich von Ängsten ohne kompetente Hilfe auf eigene Faust zu befreien, scheitern oft auch schon deshalb, weil der Betroffene Angst davor hat, dass es nicht klappen könnte und er dann in einen wahren Teufelskreis der Angst gerät. Schamanische Arbeit mit Therapeuten könnte ein Weg daraus sein.

Um psychosomatische Krankheiten zu heilen machten Professor Michael Harner und andere Wissenschaftler in den 1970er Jahren schamanische Arbeitsweisen in der westlichen Welt salonfähig, die dann in die moderne Psychotherapie eingingen. Diese spricht zwar meist nicht von „schamanischen Reisen in die untere und obere Welt“ und auch nicht von „Krafttieren“ oder „spirituellen Lehrern“, die dem Schamanen helfend zur Seite stehen, sondern benutzt Ausdrücke wie „katathyme Bilderschau“, weil diese professioneller und anspruchsvoller klingen als das Vokabular der Stammesschamanen.

Bereits um 1985 bestätigte die Weltgesundheitsorganisation, dass derzeit nur etwa 15 Prozent aller Angst-Patienten weltweit schulmedizinisch versorgt werden, dagegen aber rund 85 Prozent schamanisch. Die Heilerfolge, so die WHO, seien in beiden Lagern etwa gleich groß, wenn auch nicht genau auf denselben Gebieten. Ein Patient mit offenem Schädelbruch oder einer akut lebensbedrohlichen Infektion ist wahrscheinlich bei einem Schulmediziner in besseren Händen, während bei der Vielzahl psychosomatischer Leiden und bei Krankheiten, deren Heilung sich durch seelische Prozesse beschleunigen lässt, oft der Schamane die besseren Karten hat.

Auch vielen Formen der Angst lässt sich schamanisch gut beikommen. Allerdings gibt es hier in unserer modernen Gesellschaft Missverständnisse: Immer wieder versuchen Menschen, in ein paar Wochenendseminaren die Grundlagen schamanischen Arbeitens zu erlernen, mit der einzigen Zielsetzung, sich dann selbst heilen zu können, sich von psychischen und physischen Leiden befreien und auch Ängste überwinden zu können. Das ist zum einen gar nicht der Sinn schamanischer Arbeit. Der Schamane ist ein Heiler, kein Selbstheiler. Ist er krank, wendet er sich in der Regel an einen Kollegen, wie das etwa auch ein Zahnarzt tut. Zum Zweiten kann der Versuch, sich schamanisch gleichsam an den eigenen Haaren aus dem Sumpf der Angst ziehen zu können, geradewegs ins völlige Abseits führen.

Ein guter schamanischer Heiler, der seinen Patienten seelisch „manipuliert“, weiß, was er tut. Ein Dilettant, der sich selbst seelisch manipulieren will, gerät fast immer in ein dichtes Netz aus Aberglauben und Selbstbetrug. Er verliert dann oft den Bezug zur Realität, und das weckt nur neue Ängste. Also Finger weg von Versuchen spiritueller Selbstheilung. Das gilt übrigens keineswegs nur für schamanische Methoden.

Der Autor Felix R. Paturi bezeichnet sich selbst gerne als „Experimentalphilosoph“. Er hat neben einem naturwissenschaftlichen Studium und einer psychologischen Ausbildung in den verschiedensten Sphären des Lebens Erfahrungen gesammelt und bis heute über sehr unterschiedliche Themen rund 50 Bücher veröffentlicht. Diese wurden in etwa 20 Sprachen übersetzt.

Dieses Buch ist eine wahrhaft gute Unterstützung, seinen Ängsten auf die Schliche zu kommen und sich aus alten Fängen und Gewohnheiten zu befreien. Es ist leicht verständlich geschrieben und so anschaulich dokumentiert, dass ich es nur empfehlen kann.

Anna Ulrich

Leben statt Angst
Felix R. Paturi

Reichel Verlag
160 Seiten
ISBN: 978-3-946959-20-5
€ 14,94

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