Der Mensch neigt dazu, Normen festzulegen – auch beim Hund. Ob es um Blutwerte, Verhalten oder Essgewohnheiten geht. Menschen richten sich gerne nach Vorgaben, die – wie es so schön heißt – im grünen Bereich liegen. Vom Grundgedanken her ist gegen eine gewisse Richtlinie auch nichts einzuwenden, denn viele Menschen brauchen Normen für ihre Sicherheit. Die Erfahrung hat mir jedoch gezeigt, dass man als Hundebesitzer sehr schnell unter Stress geraten kann, wenn man meint, der Hund hat sich an menschengemachte Normen zu halten bzw. muss ihnen entsprechen – muss also „normal“ sein.
Und eines kann ich hier und jetzt ganz gewiss behaupten: Der eigene Stress des Menschen ist wahrlich das Schlimmste, was er seinem Hund antun kann, also bleiben Sie bitte ganz locker, wenn es um eigenwillige Essgewohnheiten geht oder das Blutbild nicht haargenau der Norm entspricht. Auch die Ecken und Kanten des Hundecharakters macht ihn doch eher zu einem einzigartigen Wunder der Natur – wer will schon normal sein?!
Hier ein paar Beispiele aus der Praxis:
Unkastrierte Hündinnen neigen in gewissen hormonellen Phasen manchmal zu vermindertem Appetit. Kein Grund zur Sorge! Füttern Sie einfach während der anderen Phasen etwas mehr, dann kann sie sich einen Vorrat anlegen. Wir essen auch nicht jeden Tag die gleichen Mengen, oder? Ähnliches gilt für unkastrierte Rüden, die mitunter weniger Hungergefühl verspüren, wenn die Lieblingshündin läufig ist. In seltenen Fällen sind sie derartig hypersexuell, dass sie nicht zur Ruhe kommen und abmagern, weil ihnen Futter gänzlich egal ist. Dies ändert sich meist schlagartig nach einer Kastration, zu der ich in diesem Fall raten würde. Und ich schreibe dies aus Überzeugung, auch wenn es manchen Menschen heutzutage nicht gefallen wird und sie mit dem §6 des Tierschutzgesetzes wedeln. Ich erachte diese Form der hormonellen Dysbalance als Indikation für eine Kastration und möchte an dieser Stelle die Tierärztin meines Vertrauens zitieren: „Das Leben mit einem Hund soll beiden Seiten Spaß machen“.
Oder kennen Sie vielleicht diese Situation? Der ehemalige Straßen- oder Kettenhund aus dem Auslandstierschutz mag einfach kein gesundes Futter fressen und treibt Sie in den Wahnsinn. Vielleicht hatten Sie es sich leichter vorgestellt und etwas mehr Dankbarkeit erwartet, auch wenn Hunde dieses menschliche Gefühl so nicht kennen. Wer sich jahrelang von Essensresten ernähren musste, kann mit gebratener Leber, einem Stück Pansen oder einem ausgewogenen, kaltgepressten Trockenfutter oft nichts anfangen.
Mein freundschaftlicher Rat
Wenn das Schmackhaftmachen der gesunden Mahlzeiten durch geriebenen Käse oder Ähnliches nicht zum Ziel führt, füttern Sie ihm halt das Bestmögliche, was er zu fressen bereit ist. Versuchen Sie mit dem Leckerli, für das der Hund sterben würde, gesunde Vitalstoffe zu verabreichen, damit er gut versorgt ist. Ja, auch, wenn das Lieblings-Leckerli ein Stück Tomate ist (die man einem Hund ja eigentlich nicht regelmäßig füttern soll 😊) Glauben Sie mir, das ist auf jeden Fall besser und gesünder für beide Seiten, als wenn Sie sich jeden Tag schlecht fühlen und einem Nervenzusammenbruch nahe sind. Die Essgewohnheiten von Tierschutzhunden können natürlich auch das gegenteilige Extrem darstellen. Hier holt sich der Hund dann die Wurst vom Grill oder den Kuchen vom Tisch, was alles in allem jedoch wesentlich amüsanter sein kann als ein mäkelnder Artgenosse.
Die Norm
Kommen wir zu Blutbildern und der NORM, die uns Gesundheit anzeigen soll und auch hier zitiere ich gerne meine Lieblings-Tierärztin: „Blutbilder sind Krücken“. In der Tat, trotzdem werden „unnormale“ Werte gerne herangezogen für gewisse Therapien, obwohl keine Symptome vorhanden sind. Oder das Gegenteil ist der Fall, der Hund hat Symptome, wird aber nicht behandelt, weil laut Blutbild ja alles „normal“ ist. Manchmal sind Blutbilder wichtig, um einen Diagnoseverdacht zu bestätigen. Und sicher sind sie auch wichtig für das Erkennen seltener Erkrankungen.
Aber ich habe schon schwerstkranke Hunde gesehen mit 1A-Blutbildern und topfitte Hunde mit starken Abweichungen von der Norm. Fakt ist: Es sollte immer der Patient behandelt werden, nicht sein Blutbild. Lernen Sie, Ihren Hund zu beobachten, schauen Sie ihm in die Augen, riechen Sie an seinen Ohren, ist die Haut okay, glänzt das Fell, sind die Schleimhäute rosig? Geht es ihm gut? Ist er glücklich oder hat er sein Verhalten geändert? Was sagt Ihr Gefühl?
„Willst du normal sein oder glücklich?“ (Robert Betz)
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine glückliche Zeit mit ihrem Liebling
In herzlicher Verbundenheit, Susanne Orrù-Benterbusch
Unsere Kolumnistin Susanne Orru-Benterbusch ist ausgebildete Tierheilpraktikerin und war 11 Jahre lang mit eigener Praxis in Marl tätig. Seit Ende der 1990er-Jahre beschäftigt sie sich intensiv mit alternativer Medizin. Besonders liegt ihr am Herzen, den Tierbesitzern naturheilkundliches Fachwissen zu vermitteln, damit diese eigenverantwortlich die Gesundheit der Tiere erhalten können. Sie bietet dazu Seminare speziell für Hunde- und Katzenbesitzer an.
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