Persephone ist vor allem als Tochter der Demeter und des Zeus bekannt. Als Kore ist sie die junge, frühlingshafte, heitere und liebreizende Göttin. Sie war ein von der Mutter geliebtes und behütetes Mädchen, bis sie von ihrem Onkel, dem Unterweltsgott Hades entführt und in seinem Reich festgehalten wurde.
Die Auferstandene
Zeus hatte sie ihm, ohne Wissen der Mutter, als Gattin versprochen. Hades, der von allen unbemerkt aus einer Erdspalte entstiegen ist, hatte Kore in die Unterwelt hinabgezogen. Demeter, die ihre Tochter nicht mehr finden konnte, zog verzweifelt durch die Welt. Einzig die alte Hekate hatte vernommen, dass jemand eines Morgens „Gewalt! Gewalt!“ geschrien hatte. Darüber informierte sie Demeter. Indess hallten die Hilfeschreie der Jungfrau tief unter der Erde wider. Sie sprangen wie ein dumpfes Echo von jedem Stein. Sie gurgelten wie Quellwasser unter den sieben Meeren. So vernahm auch Demeter den Hilferuf ihrer Tochter.
Als älteres Ich der Demeter war Hekate die einzige, die Rat wusste. Sie unterstützte die Fruchtbarkeitsgöttin bei ihrer Suche nach Kore.
Trauer und das Entsetzen der Fruchtbarkeitsgöttin
Diese Suche war lange erfolglos. Die Trauer und das Entsetzen der Fruchtbarkeitsgöttin war so groß, dass nichts mehr wuchs. Damit legte sich großes Leid über die Welt. Kein Kind wurde mehr geboren, keine Knospe öffnete sich mehr, das Getreide gedieh nicht mehr. Der Tod erstreckte sich über das ganze Land. Die patriarchal geprägten Götter des Olymp schien das vorerst nicht zu stören.
Demeter, die Zeus um Hilfe bat, bekam zur Antwort, sie solle sich mit ihrem neuen Schwiegersohn abfinden. Eine Situation, die sich seither abermillionen Mal auf dieser Erde wiederholt hat. Frauen, Mütter, Töchter werden von „Götter-Männern“ für deren Interessen, Neigungen und Spiele verwendet und missbraucht. Die rasende Wut, der unerträglichen Schmerz, die tiefe Verzweiflung, die dieses Verhalten auslöst, wird ignoriert, lächerlich gemacht oder verniedlicht – solange bis Frauen Konsequenzen ziehen und diese fallen dann naturgemäß unerbittlich aus.
Dies ist im Demeter-Mythos gut dargestellt, hier wendete sich schließlich das Blatt: Als die Situation sich zuspitzte, das ganze Land verdorrte und Zeus endlich schnallte, dass es bald niemanden mehr geben wird, dessen oberster Gott er sein kann, befahl er seinem Bruder Hades, die Entführte freizugeben.
Neben dieser patriarchalen Missbrauchsgeschichte, die einer jungen Frau widerfährt und die nicht auszuklammern ist, steht dieser Mythos natürlich auch für andere Bedeutungen im Zusammenhang mit Erfahrungen in der Unterwelt, Übergängen, seelischen Prozessen.
Die Wandlung der Kore in der Schattenwelt
Während ihrer Mutter um sie kämpft, wandelt sich Kore, das ehemals junge, behütete, unbekümmerte Mädchen durch ihren Aufenthalt in der (seelischen) Schattenwelt drastisch. Sie erscheint als gereifte, ja geläuterte Göttin Persephone wieder, nachdem ihre Mutter von der Göttin Baubo aufgeheitert wurde und durch ihr Lachen den Unterweltsgott Hades neugierig machte.
Dieser gab nach einigem Hin und Her und wohl auch auf Befehl von Zeus Demeters Tochter wieder frei. Diese war aber nicht mehr die, die sie vorher war. Aus der jugendlichen ist eine gereifte, eine Unterweltsgöttin geworden, eine Kennerin der tiefgründigsten Gefühle mit einem tiefen Wissen um Angst, Schrecken und Erlösung. Sie wird damit für die Menschen zur weisen Führerin auf den Nachtmährfahrten der Seele.
Aber gerade durch diese Reifung hat Persephone mit ihrem Auftauchen aus der Unterwelt die Kraft, dass es auf Erden Frühling wird, alles zum Blühen, zum Reifen, zur Fruchtbarkeit gelangen kann, was wiederum an den Leibreiz ihres jungen Selbst Kore erinnert. Dennoch ist sie ab nun die Gebieterin der Schatten, die Göttin der Dunkelheit, was aber nichts mit Furcht oder Schrecken zu tun hat, sondern mit jener fruchtbaren Dunkelheit der Erde, in der die Saat keimen kann und das neue Wachstum beginnt.
Hekate wird Persephones Führerin und Begleiterin
Nach ihrem Aufstieg aus der Unterwelt wird niemand geringerer als Hekate zu Persephones Führerin und Begleiterin. Hier wird ein schöner Bogen zwischen der Jungen und der Alten, der Enkelin und der Großmutter gezogen. Persephone – und mit ihr die gesamte Vegetation – erblickt nach ihrem Aufstieg aus der Unterwelt erneut das Licht der Welt und erlebt die große Freude, das Glück am Leben zu sein.
Damit wird Persephone die Göttin all jener, die durch schwere Zeiten ihres Lebens gehen und aus diesen wieder – mit einem anderen Bewusstsein – auftauchen. Desillusioniert vielleicht, aber losgelöst von Wünschen und Erwartungen – was befreien kann und den Sinn für die Schönheit und die Freude am Hier und Jetzt stärkt.
Ego nicht ausgelöscht sondern emporgehoben
Die Reise durch die Unterwelt – wie wir sie auch im sumerischen Inanna–Ereshkigal–Mythos finden – bedeutet immer eine Verwandlung des Egos. Das widerfährt auch Menschen in Übergangszeiten hinein in andere Lebensphasen, bei Krankheit, großem Schmerz oder Verlust von Gewohntem. Kore als behütende, vielleicht sogar etwas verzogene pubertierende Tochter erlebt wohl erstmals, dass nicht alles nach ihrem Kopf geht.
Sie fällt aus der gewohnten Rolle heraus, macht, ihre ersten eigenständigen Erfahrungen, erlebt dabei großen Enttäuschungen, Zurückweisungen, Verletzungen, wie es auch viele Menschen im Pubertätsalter erleben. Ihr Ego wird dadurch aber nicht ausgelöscht sondern, nachdem sie durch die Unterwelt gegangen ist – quasi emporgehoben.
Persephone ist die Göttin, mit der Frauen in Verbindung treten, um dabei von ihr unterstützt zu werden, aus ihren eigenen persönlichen Unterwelten gestärkt hervorzugehen, mit emporgehobenem Selbstwertgefühl und fruchtbarer neuer Lebenskraft.
Sechs Kerne des Granatapfels
Hades erreichte durch eine List, dass Persephone immer wieder zu ihm zurückkehren muss. Er gab ihr, bevor sie zu Demeter zurück kehrte, einen Granatapfel zu essen. Niemand konnte nämlich zu den Lebenden zurückkehren und dabei etwas aus der Unterwelt mitnehmen. Persephone aß sechs Kerne dieses Apfels, die sie noch im Bauch hatte, als sie zu ihrer Mutter zurückkehrte.
Zeus verhandelte daher mit Hades, ob diese Kerne dafür stehen, dass Persephone etwas aus der Unterwelt in die Welt der Lebenden mitnimmt. Man einigte sich: Sie muss immer wieder (im Herbst und im Winter) als Persephone zu Hades zurückkehren, darf aber sechs Monate des Jahres als Kore bei ihrer Mutter leben, dann ist Frühling und Sommer auf Erden. Die alte Göttin Hekate hat über die Einhaltung des Vertrages zu wachen.
In einer anderen Version heißt es, dass Persephone nur ein Drittel bzw. ein Viertel des Jahres unter der Erde verbringen muss, um mit jedem Frühjahr wiederzukehren.
Auferstehung allen pflanzlichen Lebens
Da Persephone während ihres Aufenthaltes in der Unterwelt Samen – die Kerne des Granatapfels und damit ein Symbol des Lebens – aß und diese in ihrem Bauch an die Oberwelt trug, steht ihre Wiedergeburt symbolisch für die Auferstehung allen pflanzlichen Lebens im Frühjahr und im größeren Rahmen allen Lebens auf Erden.
Hier handelt es sich um die, in vielen Völkern und Kulturen bekannte Vorstellung, dass ein Getreidekorn (in Form einer Göttin oder eines Gottes) sterben und begraben werden muss, damit es sprießend und vielfach wieder zum Vorschein kommt.
Dieser universelle Glauben ist 1500 Jahre nach der Entstehung des Demeter-Persephone-Mythos auch sehr gut im Johannesevangelium (12:24) beschrieben: „Wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es ein einzelnes Korn, wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht“. Ihr und ihrer Mutter Demeter zu Ehren wurden die Eleusinischen Mysterien abgehalten.
Rückkehr der Persephone gefeiert in den Eleusinischen Mysterien
Bei diesen älteste bekannten Mysterienkulten Griechenlands wurde die Rückkehr der Persephone zur Oberwelt und die wieder erwachende Natur symbolisiert. Nach Aristoteles fanden sie bereits 1500 Jahre v.u.Z. statt. Eleusis bedeutet soviel wie „Advent“.
Die Hauptriten der Mysterien galten der Ankunft des göttlichen Kindes und damit der Geburt des Lichts und der Hoffnung. Dieses Mysterium rund um Tod und Auferstehung eines göttlichen Kindes diente in vielen Epochen danach noch als wirkungsvolles religiöses Vorbild (siehe auch bei Demeter). Dieser Kult verbreitete sich von Sizilien nach Rom, wo Demeter und Persephone als Ceres und Proserpina verehrt wurden.
Der Text wurde freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: https://artedea.net