So, jetzt stehen wir also in der Mitte der sogenannten Karwoche. Interessant daher, sich ein wenig mit dem Wort „kar“ zu beschäftigen. Meist lesen wir, das dieses vom althochdeutschen „kara“ oder „chara“ kommt, was Klage, Kummer, Sorge oder Trauer bedeutet.

Trauern und Klagen passt aber so gar nicht zu dieser Zeit im Jahr, wo endlich Kälte und Winter vorüber sind, und damit ist anzunehmen, dass es zu Frühlingsbeginn auch keine stillen, besinnlichen und mitunter traurigen Jahreszeitfeste gegeben hat.

Die Feiern zu Frühlingsbeginn sind ja schon wesentlich älter als das Christentum und waren mit hoher Wahrscheinlichkeit fröhlich, hoffnungsfroh und ausgelassen. Alles Schwere, Klagende und Traurige können wir daher dem typisch christlich-patriarchalen Gedankengut zuschreiben.

OstaraLebensfreude, das Erwachen der sinnlichen Lebensgeister passte halt so gar nicht ins Konzept der Kirche mit ihren Machtansprüchen über die Gläubigen, denn je fröhlicher und ausgeglichener Menschen sind, umso schlechter lässt sich über diese bestimmen. Daher galt es offenbar gleich zu Frühlingsbeginn alles, was in Richtung Lebensfreude geht, gleich einmal zu unterdrücken und im Keime zu ersticken.

Doch die Menschen fühlen ja, was in der Natur und damit auch in ihrem Inneren vor sich geht. Und daher haben sie trotz christlich auferlegter klagender Trauer ihre eigenen bunten und fröhlichen Bräuche.

Hart und eingeschlossen

Was also hat es mit dem kurzen Wörtchen „kar“ auf sich? Dies ist neben der schon erwähnten Bedeutung des Klagens und Trauerns auf eine noch ganz andere Sprachwurzel zurückzuführen: Es geht hier um einerseits etwas „Einschließendes“ bzw. „Eingeschlossenes“, andererseits auch um „hart“.

In indoeuropäischen Sprachen ist „kar“ ganz allgemein der Begriff von „Dingen mit harter Schale“. Im Lateinischen werden wir fündig: „carīna“ heißt Boot bzw. Nussschale, Im Altgriechischen ist „káryon“ das Wort für Nuss, die verdoppelte Form „karkinos“ ist im Altgriechischen eine mythologische Riesenkrabbe, die wurde zu „cancer“ – Krebs, Krabbe, Tiere also mit einer harten Schale.

Im Altsächsischen bedeutet „bîkar“ Bienenkorb. Im Niederländischen ist „kaar“ der Fischkasten. In den Geschichten von Till Eulenspiegel gibt es einen „molkenkar“ – Melkeimer.

Auch eine Hohlform in einer Felswand und Ursprungsgebiet eines Gletschers wird als Kar bezeichnet. Und in südlichen deutschen Dialekten wird die Silbe „kar“ für diverse Küchengeräte verwendet, z.B. „bachkârl“ für Backschüssel.

Auch die deutschen Worte Karton, Karren, Karaffe, Karosse, Karzer, Karzinom enthalten noch diese Silbe. All das sind Begriffe für Gefäße und Hohlräume, meist mit einer harten Schale, die das darin Befindliche sicher umschließt.

Eiförmige Grabstätten

Was also hat nun dies Wort für einen „fest umschlossenen Hohlraum“ mit der (christlichen) Kar-Zeit vor Ostern zu tun?

Dazu ein kleiner Ausflug in die Vergangenheit: Vor 6000 Jahren gab es in Malta das Hypogäum von Hal Saflieni. Es ist noch gut erhalten und wurde im Jahr 1980 von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt. Es besteht aus vielen unterirdischen Gängen, Hallen und Nischen und erstreckt sich über drei Ebenen. In diesem riesigen unterirdischen Gewölbe gibt es viele eiförmige Räume in unterschiedlicher Größe, deren Decken und Wände durchgängig in Rot bemalt sind. Es wird angenommen, dass dies Grabkammern waren.

Vasen und andere Gegenstände in diesen eiförmigen Kammern zeigen rote Eier. Auch an vielen anderen Orten in Alt-Europa wurden derartige in Fels gehauene historische Grabmale und Gräber in Ei-Form gefunden. Die Toten wurden in vor-patriarchaler Zeit in Embryo-Haltung bestattet – in eiförmigen Erdgruben und Grotten, sowie auch in bauchigen Tongefäßen.

Jetzt kommen wir zur Bibel: „Und Josef nahm den Leib [Christi] und wickelte ihn in ein reines Leinentuch und legte ihn in sein eigenes neues Grab, das er in einen Felsen hatte hauen lassen, und wälzte einen großen Stein vor die Tür des Grabes und ging davon.“ (Matthäus 27, 59-60).

Also wir sind hier noch ganz in der alten Tradition der Grabkammer in einem Felsen.

Und die Geschichte von Josef von Arimathäa, der sich um den Leichnam von Jesus kümmerte, bringt uns noch auf eine ganz andere Bedeutung von „kar“ in Sinne von „Sorge“. Dies verweist auf den englischen Begriff „care“.

„To take care“ bedeutet: Sorge tragen, sich um jemanden sorgen, auf etwas aufpassen, es hüten, sich verantwortlich fühlen. Sorge also eher im Sinne von Für-Sorge. Damit würde auch „kar“ in der Übersetzung für „Sorge“ Sinn machen.

Und wenn wir uns das italienische Wort „cara“ bzw. „caro“ anschauen, dann sind wir bei „lieb“, „liebenswert“ „teuer“ im Sinn von „wertvoll“.

Eine liebenswerte Geste, wenn wir auf etwas achten, aufmerksam sind und freundlich, schauen, dass es den anderen gut gehen und wo vielleicht Unterstützung not-wendig ist.
Das wäre ein gutes Motto (nicht nur) für die Karwoche und das ganz speziell in dieser Corona-Zeit: Aufmerksam sein, Sorge tragen für die Natur, für die Mitmenschen und (als Burnout-Prävention) auch für sich selbst.

Eier und die Wiedergeburt

Rote Eier, OstereierNun zu den Eiern: Eiszeitliche Höhlenmalereien belegen, dass Eier seit den Anfängen der Menschheit als Sinnbild für die Wiedergeburt galten. Aus dem Ei entsteht neues Leben und seine Form wurde als Grab nachgebildet als Durchgang für die Wiedergeburt.
Die „Wiedergeburt des Jahres“ wird angekündigt durch den Frühling, so wie die „Wiedergeburt des Tages“ mit der östlichen Morgenröte beginnt. Ostern hat daher natürlich den gleichen Wortstamm wie Osten.

Rot ist dabei immer die Farbe des kraftvollen Lebens, jene des Blutes als Lebenssaft. Daher ist es seit jeher Brauch, sich bei diesen Frühlingsfesten rot gefärbte Eier zu schenken. Wohl auch als Freude darüber, dass die Hennen wieder Eier legen, was sie ja, wenn sie freilaufend und nicht durch künstliches Licht beschienen sind, im Winter nicht tun. Der Be­ginn des neuen Eier­le­gens galt übrigens als si­che­res Zei­chen für den Früh­ling, denn eine Hen­ne legt näm­lich dann Eier, wenn ihre Reti­na, also je­ner Teil des Auges, der das Licht ein­fängt, mehr als 12 Stun­den am Tag von Licht sti­mu­liert wird. Und mehr als 12 Stunden Helligkeit – das beginnt exakt zur Frühlings-Tag-und Nachtgleiche.

Ei: Wiege oder Grab?

Jetzt kommen wir wieder auf das Wort „kar“ zurück: Auch das Ei hat eine harte Schale, die das Empfindliche in seinem Inneren – die Keimzelle des neuen Lebens – gut umschließt. Ein wenig Wärme lässt in seinem Inne­ren neues Le­ben wach­sen und aus einem schein­bar leb­lo­sen Ding ent­springt neues Le­ben. Es wurde da­her im­mer schon als Ge­schenk alles Weib­li­chen, als „Wiege des neuen Lebens“ be­grif­fen.

Seit Urzeiten sind die Men­schen vom Ei fas­zi­niert, denn die Scha­le umschließt ein komplet­tes Lebenser­hal­tungs­system. Es steht da­her auch für das gan­ze Po­ten­tial, das in ihm steckt und es ist da­mit auch Sym­bol für die aus dem Win­ter­schlaf er­wa­chen­de Natur.
In vielen Kulturen gibt es die Legen­de, dass zu Be­ginn aller Zeiten die Große Göttindas Weltenei bzw. gleich meh­re­re Eier ge­bar, das gol­de­ne Ei der Son­ne legt, selbst einem Ei entstieg bzw. Eier hüte­te.

Zahl­reiche Göt­tin­nen sind selbst einem Ei entschlüpft oder wer­den als das „Ur-Ei“ begriffen.

All das findet sich z.B. in den Mythen rund um Arikina, Atar­gatis, Eury­no­me, Ilmatar oder Astarte.

In man­chen Über­lie­fe­run­gen heißt es, die Urmut­ter wärm­te ein Ei zwi­schen ihren Brüs­ten und ließ es Jahr­tau­sen­de rei­fen.

Als sich die ersten Sprün­ge in der Scha­le zeig­ten, nahm es die Göt­tin be­hut­sam und legte es ins große Dun­kel. Dort sprang die Scha­le auf und heraus fiel die gan­ze Welt: Erde und Was­ser, Tie­re und Pflan­zen. Und aus dem Dot­ter entstand die Son­ne.
Und damit die Men­schen sich an das große Werk der Schöp­fungs­göttin erin­nern, schlüp­fen die äl­te­sten Tier­ar­ten der Welt auch heu­te noch aus Eiern, den Ur­zellen al­len Le­bens.
Der Brauch des Eierfärbens und -Verschenkens ist daher uralt und hat immer etwas mit Frucht­bar­keit zu tun. Das konnte das Christentum auch nicht verbieten oder verhindern. Allerdings war man in Erklärungsnotstand, denn in der bibli­schen Ostergeschich­te wer­den Eier ja nirgendwo er­wähnt.

Ein christlicher Erklä­rungsversuch zu den „heid­nischen“ Oster­eiern ist, dass das Ei et­was verborgen hält und damit wie ein ver­schlos­senes Grab ist, in wel­chem Leben eingeschlos­sen ist. Damit soll die Be­zie­hung zur Auf­er­stehung Christi deut­lich werden.
Doch das Ei hält Le­ben nicht wie ein Grab ver­schlossen, son­dern birgt es ein­fach wie ein Ei!

Das Ei ist der Ur­sprung des Lebens, ein „Wun­derwerk“, das aus dem Weib­lichen kommt – aus weib­li­chen Vögeln, Tieren, Menschen­frauen …

Zyklische Wiedergeburt oder einmalige Auferstehung?

Ansonsten gab es den Versuch, die Menschen von ihren freudvollen Frühlingsfesten, in denen nach dem langen entbehrungsreichen Winter die „Wiederge­burt“ und die „Auferstehung“ der Natur, die stärker werdende Son­ne, die Wärme und die Le­benskraft gefeiert wur­de, hin zu christlichen Feiern zu lenken. Mit all den grauenhaften Geschichten des „Schmerzensmannes“, die die ganze Kar-Woche beherrschen, damit die Menschen ja nicht zu übermütig werden.

Aus der zyk­li­schen Wieder­ge­burt der Na­tur mach­te das Christen­tum also das einmalige Ereignis der Auf­er­ste­hung des Got­tes­soh­nes, aus der pe­rio­di­schen Erlösungvon Dunkelheit und Frost die dauern­de Aus­sicht auf Er­lö­sung von der Erb­sün­de.

Und just an jenem Zeitpunkt im Jahr, an dem der lange Winter „stirbt“ und der Frühling „neu geboren“ wird, zu klagen, zu leiden und zu trauern, das schaffen halt auch nur die Christen …

Vielen Dank für die Erlaubnis zur Veröffentlichung an Andrea Dechant von https://artedeablog.wordpress.com

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