Die Illusion der Trennung ist ein göttliches Spiel, voller Leiden und Freuden für alle Teilnehmenden. Ein gigantisches Versteckspiel, in dem der Verlust und das Wiederfinden der Einheit mit dem Göttlichen einprogrammiert sind. Das Spiel wird u.a. dadurch aufrechterhalten, dass wir den einen angenehmen und lustvollen Pol genießen wollen und vor dem anderen, dem schmerzhaften, Angst haben. Mit allen Mitteln versuchen wir, ihn zu vermeiden.

Doch solange wir an die Trennung glauben und uns mit den jeweiligen Polen identifizieren, können wir ihnen nicht entrinnen. Wir bleiben in ihrem Spannungsfeld gebunden. Je mehr Widerstand wir gegen mögliche schmerzhafte Erfahrungen entwickeln, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir diese in verschiedenen Formen und Varianten auch erleben werden oder bereits erlebt haben.

Das göttliche Spiel von Trennung, Illusion und Vergessen beinhaltet ein gigantisches Lern- und Entwicklungsprogramm. Es hat seinen Sinn in unserem Menschsein erfüllt, wenn wir erwachen und die so echt erscheinenden Illusionen durchschauen. Dies bedeutet gleichzeitig eine ekstatische Befreiung und Erlösung. Dieses gnadenvolle Geschenk übersteigt alle Vorstellungen unseres begrenzten Verstandes. Doch in unserem Gehirn sind bereits Areale angelegt, mit denen wir eine viel umfassendere Wirklichkeit erleben können. In der Welt des Getrenntseins werden diese nur in ganz seltenen Momenten intensiven Erlebens aktiviert.

Graf von Dürckheim nannte diese, unser Bewusstsein öffnenden Situationen Seins-Fühlungen oder Seins-Erfahrungen. In der Bibel heißt es, dass jedem Menschen das Göttliche einige Male in seinem Leben begegnet. Gemeint sind jene Augenblicke, in denen sich unbeabsichtigt und unerwartet ganz überraschend eine uns aufrüttelnde Erfahrung einer erweiterten Realität einstellt. Unser alles ständig unter Kontrolle haltender Verstand wird vorübergehend stillgelegt und wir tauchen staunend in eine größere Wirklichkeit ein. Die Zeit scheint stillzustehen – und unser Bewusstsein dehnt sich aus in einem Raum voller Frieden, Grenzenlosigkeit und Weite. Dies sind Erfahrungen, die uns verwandeln und unvergesslich in Erinnerung bleiben.

Derartiges kann sich z. B. einstellen, wenn uns die Magie eines besonders eindrucksvollen Sonnenuntergangs tief berührt. Jeder kennt Situationen, in denen die Kraft und Schönheit einer Landschaft, eines Kunstwerkes oder der Anblick eines Menschen uns vollkommen überwältigt. Andere erleben es in Extremsituationen, wenn Gefahr, Schmerz und Todesnähe unser Denken ausschaltet. Voraussetzung ist, dass wir offen und präsent bleiben, anstatt zu erstarren oder zu fliehen.

Bei Höchstleistungen, wenn ein Mensch seine Grenzen erreicht und seine persönlichen Kräfte verausgabt hat, kann sich jenseits des eigenen Wollens ein innerer Schalter umstellen. Auf einmal verwandelt sich die Energie und ihm steht ein neuer Strom von Stärke, Klarheit und Zuversicht zur Verfügung.

Auch in gnadenvollen Momenten inniger Liebesbegegnungen oder in tief berührenden Momenten von Abschied und Sterben kann sich diese göttliche Dimension für uns öffnen, wenn wir uns ganz präsent dem Augenblick schenken. Wir können dann erleben, wie eine größere, unser begrenztes Selbstgefühl zeitweilig auflösende Kraft übernimmt. Dies gewährt uns Einblicke in die Wirklichkeit eines Energiefeldes, das wir zu Recht als heilig bezeichnen können.

Das Erwachen aus der Illusion der Trennung geht einher mit einem Frieden, der alle Worte und Begriffe übersteigt. Uns erfüllt Glückseligkeit und Freude, ein Gefühl von Befreiung und Erlösung. Wir tauchen ein in eine grenzenlose ozeanische Liebesfülle, in eine Klarheit und Gewissheit, nach der sich jeder Mensch essenziell sehnt. Gesprochene oder geschriebene Worte sind unzureichend, um die Essenz unseres Seins auszudrücken. Doch die Erfahrung ist so überwältigend wirklich, dass sich jeder mögliche Zweifel an der Echtheit und Absolutheit dieser göttlichen Anwesenheit auflöst.

Inmitten aller Begrenzungen des alltäglichen Lebens stellt sich in uns eine Unterströmung von Ruhe und Frieden ein. Wir ahnen, dass nichts in dieser Welt gegen uns ist oder uns etwas vorenthalten möchte. Alles will uns dienen, damit wir unsere nächsten Schritte in den Raum unseres wahren Seins vollziehen können. Dort stellt sich eine zunehmende innere Freiheit ein und ein wachsendes Vertrauen in die Güte und Liebe des Lebens. Wir entdecken auf einmal eine unerwartete Lust und Freude, mit der wir bereit sind, am Spiel des Lebens teilzunehmen. Es entstehen neue innere und äußere Freiräume, die uns wie Geschenke erscheinen und uns mehr und mehr Erfüllung bringen.

Doch dann können wir auch immer wieder Zeiten von Verunsicherung, Erschütterung und Lebenskrisen erleben. Aber etwas tief in uns kann sich gleichzeitig erinnern und darauf vertrauen lernen, dass auch dies ein notwendiger Teil unserer Entwicklung ist. Es gehört zu dem Übergang in etwas völlig Neues. Mit dem Sterben des Alten und der Geburt des Neuen gehen sowohl schmerzhafte als auch ekstatische Momente einher.

Zur Illusion der Trennung gehören Erfahrungen und Emotionen von Schuld, Scham, Angst, Kampf und Gewalt. Mit dem Erwachen in die Wirklichkeit der Einheit werden uns alle Facetten unseres wahren Seins eröffnet. Liebe, Klarheit, Frieden, Fülle, Freude, Mut, Kraft und Dankbarkeit erfüllen uns mehr und mehr. Je weiter wir uns der göttlichen Quelle allen Seins zuwenden, desto echter und klarer werden wir. Wir lernen, Illusion und Wirklichkeit zu unterscheiden. Das Illusionäre löst sich auf, und das Wirkliche tritt hervor und bekommt Raum. Unsere bewusste Entscheidung für und Hingabe an die übergeordnete Wahrheit nährt und stärkt uns von innen her.

Alles wirklich Wichtige und Großartige in unserem Leben liegt jenseits der Kontrolle unseres Verstandes und unseres persönlichen Wollens. Es stellt sich ein, wenn etwas in uns bereit und in der Lage ist, beiseite zu treten und dem Wirken der göttlichen Kraft Raum zu geben. Dies führt uns in eine neue Demut, durch die wir schließlich unser wahres Wesen in Einheit mit der Größe und Schönheit allen Lebens erfahren können.

Der Text ist ein Auszug aus meinem aktuellen Buch „Wer liebt hat alles“. Mehr zum Buch: https://www.gerd-bodhi-ziegler.com/gerd-bodhi-ziegler/wer-liebt-hat-alles/

Unser Kolumnist Gerd Bodhi Ziegler gehört als Bewusstseinslehrer, Ausbilder und Buchautor zu den Pionieren im Bereich spiritueller Therapie und Transformationsarbeit. Er hat sein ganzes Leben der Arbeit mit Menschen gewidmet, um sie zu unterstützen, sich selbst zu finden und ihre höchsten Potenziale zu entfalten. Seine Seminarprojekte werden seit Jahrzehnten von zahlreichen begeisterten Teilnehmern aus dem gesamten deutschsprachigen Raum besucht. Er ist Autor der weltweit meistgelesenen Tarotbücher über das Crowley-Tarot.

Weitere Informationen über ihn und seine Arbeit: www.gerd-bodhi-ziegler.com